Fast genau ein Jahr nach Spitzenböen über 250 km/h wurden am 1. und 2. Dezember 2016 erneut Böen bis 220 km/h auf dem Klosterwappen (2076m) gemessen. Nun wird man sich natürlich fragen, wie realistisch derart extreme Messwerte sind.
Die Ausgangslage:
Randtief THERESA zieht über Polen und Tschechien südostwärts. Der Alpenraum gerät dadurch in eine straffe westnordwestliche Strömung im stabilen Warmsektor. Die Radiosonde Wien-Schwechat vom 2. Dezember, 01 MEZ, misst 60kt aus 280° auf 700m, Spitzenböen um 110 km/h also.
In meinen Augen sprechen mehrere Faktoren für diese Messwerte:
1. Die Wetterlage hatte Ähnlichkeiten mit der vom 27.1.2008
Speziell in mittleren Höhenlagen wurden Taupunktsdifferenzen über 20 Kelvin gemessen (damals bis über 35 K selbst an der Alpennordseite) und sehr trockene Luft begünstigt selbst bei nur geringstem Niederschlag enorme Verdunstungskälte und dadurch Beschleunigung des Windes. Zum Zeitpunkt der 220 km/h Böen (kurz nach Mitternacht am 2.12.16) betrug die relative Luftfeuchte zeitweise annähernd 100%.
2. Spitzenböen an umgebenden Bergstationen ähnlich hoch
Auf dem Hochwechsel (1749m) wurden 140 km/h gemessen, auf der Hohen Veitsch (1981m) 160 km/h und auf der Eismauer (2200m) am Hochschwab 180 km/h. Keiner dieser Gipfel steht jedoch so einsam in der Gegend wie Hochschneeberg.
3. Durchgehende Messungen ohne große Ausreißer.
Quelle: Lawinenwarndienst Niederösterreich
Im Gegensatz zum Ereignis vom Vorjahr, als zwischen den Messungen längere Ausfälle zu beklagen waren und es sich um Ausreißer von den sonstigen Maximalböen handelt, waren die Spitzenböen beim neuesten Ereignis recht gleichmäßig (in der 1-tägigen Grafik besser zu sehen, die ich leider nicht gespeichert habe) ohne Lücken.
Auch beim Durchzug von „Sturmtief“ Paula am 27. Jänner 2008 wurden bis zu 230 km/h am Klosterwappen gemeldet.
4. Topographie und Anströmung
Von Westen kann die langgestreckte Gipfelkuppe ungehindert angeströmt werden. Die Luft kann dabei nicht ausweichen, sondern wird über den Kamm gepresst. Eine Art Prallhangeffekt ist am Klosterwappen ebenfalls denkbar, wenn der Südhang umströmt wird.
5. Höhe der Temperaturinversion
Zum mutmaßlichen Zeitpunkt der Spitzenböen ist die Lage der Temperaturinversion entscheidend!
Zwischen 1981m und 2203m begann der Temperaturanstieg (bis zu einer Obergrenze von rund 2500m). Der Gipfel befand sich also genau am Unterrand der Inversion, was die Drängung der Stromlinien zwischen Gipfelplateau und Inversion natürlich massiv verstärkt. Auffallend ist nämlich, dass im Laufe der Nacht bis zu frühen Morgen, als sich die Kaltfront annäherte und Höhenkaltluft einsickerte, die Spitzenböen deutlich zurückgingen, während sie in den Niederungen an Stärke zunahmen (Hohe Warte 107 km/h). Auch bei früheren Ereignissen ist feststellbar, dass die exponierten Gipfel am Alpennord- und ostrand bei stabiler Schichtung die höchsten Windgeschwindigkeiten aufweisen, vgl. Kyrill 2007 oder Emma 2008.
Extrem windanfällige Gipfel bei Westwind sind neben jenen mit Wetterstation außerdem Gippel (1669m), Göller (1763m), Wildalpe (1523m), Tonion (1699m) und Stuhleck (1782m), sowie das nicht vernetzte Hochplateau von Schneealpe und Rax.
Es sind diese lokalen Strömungseffekte, welche auch Lokalmodelle nur schwer in dieser Intensität erfassen können.
Am 4. Dezember 2013 betrug der (nordwestliche) Mittelwind in 850 hPa rund 35kt, gemessen habe ich auf der Rax am Jakobskogel (1736m) 56kt Spitzenböen, auf den Hochflächen rund um Scheibwaldhöhe und Dreimarkstein sah es nach wesentlich mehr aus. Das bedeutet, dass die modellierten Mittelwinde in 850 hPa manchmal um das zwei- bis dreifache bei den Spitzenböen auf den exponierten Gipfeln und Kuppen überboten werden können. Nur in seltenen Fällen (z.b. beim Durchzug von Sturmtief VAIA am 29./30.10.2018 im Alpenraum) findet bei Föhnorkan Mittelwinde über 50kt, meist sind es nur 30-40kt in 700 hPa.
Beispiel für extremen Föhnorkan (Westföhn), 11/12. Jänner 2015 während Sturmtief FELIX auf dem Stuhleck (1782m), Fischbacher Alpen: