Gefahren

In der ESWD-Datenbank sind vom 23.02.1919 bis 23.02.2019, also über einen Zeitraum von 100 Jahren, folgende Fallzahlen vermerkt (berücksichtigt wurden nur vollständig verifizierte Einträge der Qualitätseinstufung QC 1 und QC 2):

Region Starkregen Sturm Hagel Tornados
Deutschland 5 532 16 136 3 224 1 642
Österreich 1 714 1 448 687 163
alle Meldungen 25 676 58 574 29 608 9 497

Die Auswertung ist mit einer hohen Dunkelziffer behaftet, da erst seit 1997 verstärkt Daten gesammelt werden und rückwirkende Analysen aufgrund der geringen Mess- und Beobachtungsdichte schwierig sind. Zudem kommt die Revolution der Multimedia-Geräte nach 1995 hinzu, die mit kamerafähigen Mobiltelefonen mehr Beobachtungen erlaubt.

Gemäß den neuesten Fallzahlen fallen Hagel- und Tornadoereignisse gegenüber den anderen Gefahren deutlich zurück. Interessanterweise führt Starkregen in Österreich die Liste der Gefahren an, während es in Deutschland und in allen Meldungen (Europa, Westrussland, Türkei und Nordafrika) Sturmereignisse sind.

Blitzschlaggefahr

Kein Wetterdienst warnt vor der Blitzschlaggefahr in Gewittern, obwohl sie zu den Hauptgefahren bei Gewittern zählt. In Österreich wurden in den vergangenen 20 Jahren durchschnittlich 150 000 Blitze pro Jahr registriert. Bei der Mehrzahl der Blitze handelt es sich um negative Blitze, wobei diese im Sommerhalbjahr häufiger sind (85-90%) als im Winter (50%), wo jeder zweite Blitz ein positiver Klescher ist 1.

Grundsätzlich kann jeder Erdblitz Schaden anrichten, die positiven Blitzeinschläge werden aber als besonders laut und bebend wahrgenommen. Ein einziger Einschlag in eine Stromleitung kann großen Schaden anrichten: Haushaltsgeräte, Brände. Im freien Gelände besteht Lebensgefahr! Einfache Verhaltensregeln können das Risiko, vom Blitz getroffen zu werden, minimieren.

Erhöhter Blitzschlaggefahr ausgesetzt sind besonders Wanderer, die unvermutet oder leichtsinnig ins Gewitter geraten, Schwimmer und Jogger auf dem freien Feld.

Gewitter mit erhöhter Häufigkeit von Wolke-Erde-Blitzen sind nach BRIGHT ET AL (2005) 3 begünstigt, wenn…

  • die Wolkenuntergrenze wärmer als -10°C ist (genügend unterkühltes Wolkenwasser vorhanden)
  • die Wolkenobergrenze kälter als -20°C ist (Eiskernbildung)
  • die Labilität zwischen 0 und -20°C mehr als 100-200 J/kg erreicht (genügend Aufwind für Ladungstrennung)

VAN DER BROEKE (2005) 2 korrigiert das dritte Kriterium auf -10°C bis -20°C.

Sturmböen

Kräftige Windböen treten in der Mehrzahl der Gewitter auf. Oft ist die Luft zwischen Boden und Wolkenuntergrenze (Grenzschicht) gut durchmischt und entsprechend trocken, was vermehrt Verdunstungskälte erzeugt. Schmelzen von Hagel/Graupel und die Niederschlagslast selbst tragen ebenfalls zu Abwärtsbeschleunigungen bei. Im Winter kommt durch Sturmtiefs noch eine generell starke Umgebungsströmung hinzu. Starke Querzirkulationen an Kaltfronten begünstigen den Herabtransport der Höhenwinde zum Boden.

Das größte Windrisiko besteht an linienförmigen Gewittern, wie den Bogenechos (Bow Echos), Böenlinien (Squall lines) und Kombinationen aus beidem (Line Echo Wave Pattern, LEWP). Davon abgesehen zählen Superzellen zu den größten Windmachern, insbesondere in Zusammenhang mit sehr großem Hagel (feuchte Downbursts), eine Kombination, die jeden Sommer im Alpenvorland auftritt und sich vom Allgäu bis zum Chiemgau- und Flachgau erstreckt.

Als Windverstärker ist außerdem der Föhn zu nennen, der auch vermeintlich harmlose Gewitterzellen Sturmböen produzieren lässt, wenn Niederschlag in die trockene Föhnluft fällt und verdunstet (das Windrisiko im Inntal ist deutlich höher als das Hagel- und Starkregenrisiko).

Starkregen

Gewitter gehen häufig mit starkem Regen einher, der je nach Intensität (Menge pro Zeitraum) und Unterlage (versiegelte Flächen, steiles Gelände) zu Sturzfluten und Überschwemmungen führen kann.

Besonders gefährdet sind Regionen mit Oberflächenversieglung, z.B. Betonflächen (Stadt), Kanäle oder Ackerflächen, und/oder im steilen Gelände, wenn das Wasser rascher abfließt als es versickern kann. Das klassische Einzelzellengewitter wie ein abendliches Wärmegewitter oder das Superzellengewitter bringen lokalen Starkregen, während Multizellengewitter bis hin zum mesoskaligen konvektiven System (MCS) über eine größere Fläche und über einen längeren Zeitraum Starkregen verursachen.

Die Starkregengefahr ist zusätzlich erhöht bei langsam ziehenden oder gar ortsfesten Gewitterzellen, also bei geringer Höhenströmung und mit orographischer Hebung (Stau), insbesondere wenn die Luftmasse einen hohen absoluten Feuchtegehalt hat. Dieser ist aufgrund der Alpenbarriere eher südlich der Alpen in Mittelmeernähe anzutreffen, in Österreich vor allem von Kärnten über die südliche Steiermark bis zum Süd- und Mittelburgenland.

Hagel

Hagel und Sturm treten meist gemeinsam auf, da für großen Hagel (> 2 cm) vertikale Windscherung vorhanden sein muss, die wiederum eine Zuggeschwindigkeit voraussetzt, somit auch Höhenwinde und eingelagerte Trockenschichten in der Atmosphäre. Allerdings zu starke Höhenwinde kontraproduktiv, weil die durch den Aufwind nach oben transportierten Hydrometeore/Hagelembryos durch den Wind abgeweht werden und nicht mehr in den Rezirkulationsprozess einbezogen werden können.

Folgende Faktoren begünstigen großen Hagel:

  • niedrige Nullgradgrenze der Feuchttemperatur (2,2 bis 3,2 km)
  • hohe Energie (CAPE > 2000 J/kg)
  • hohe Windscherung (0-6 km: > 10 m/s)
  • hoher Flüssigwassergehalt (PWAT > 30 mm), insbesondere in der -10 bis -30°C-Schicht

Langsam ziehende Multizellen können bis ca. 5 cm großen Hagel verursachen, bei Superzellen ist das Ende nach oben hin offen. Rekordverdächtig großer Hagel ist in Europa bei 14 cm angesiedelt (2.7.1984: München), in den USA bei rund 20 cm (23.7.2010: Vivian, South Dakota).

Auffällig bei Großhagelereignissen ist das Vorhandensein einer EML (elevated mixed layer), die sich dank spezieller Gewittervorhersagekarten und Vorhersage-Soundings gut prognostizieren lässt.

Radiosonde von Brindisi, 08. Juni 2011, 14.00 MESZ – blau markiert, Temperaturdifferenz 2-4km für 17 Uhr MESZ von Lightningwizard Maps (Vorhersage von GFS)

Heiße und trockene Luft aus Nordafrika strömt mit Südwestwind zum Balkan, im Radiosondenaufstieg von Brindisi (Italien) sichtbar anhand der trockenadiabatischen Temperaturschichtung zwischen 800 und 700 hPa. In den Lightningwizardkarten dargestellt mit den 2-4 km lapse rates. Je rötlicher, umso trockener die Luftmasse. Nach dem letzten Update der Lightningwizard Maps wurden die 2-4 km lapse rates durch „Warm Layer to 500 hPa Temperature lapse rate“ ersetzt.

Folgen: 7 cm großer Hagel in Süden von Rumänien und 3,5 cm in Serbien.

Tornados

Bezogen auf die zuvor genannten Risiken ist die Gefährdung durch Tornados sehr gering, Selbst bei einem großem Tornadoausbruch im Mittleren Westen der USA überwiegen in der Absolutzahl die Großhagel-, Downburst- und Sturzflutereignisse bei Weitem. Die Besonderheit gegenüber Europa ist die Intensität von Frontdurchgängen. Klimatologisch gesehen sind Kurzwellentröge und Bodentiefs ausgepräger als in Europa – verursacht durch die Rocky Mountains, die gewaltige Leetröge hervorrufen, und durch die fehlende Barriere zu Kanada, wodurch sehr kalte Luft nach Süden strömen kann. Von Grund auf herrscht eine stärkere Windscherung, während in Europa die Mischung aus extremer (bodennaher) Windscherung und viel Energie seltener ist.

Super Outbreak in den USA am 3.April 1974 grün: Feuchteadvektion, gelb: EML, schwarz: 500 hPa Isohypsen

Die Wetterlage am 3.April 1974 etwa einen Tag vor dem größten registrierten Tornado Outbreak in der Geschichte der USA:

Sehr feuchte Luft (grün) strömt aus der Golfregion nach Norden, gleichzeitig wird von den Great Plains heiße, trockene Luft (gelb) in mittleren Schichten herangeführt. Die Vertikalprofile über den Great Plains zeigen sehr hochreichende Grenzschichten (5-6 km), die entkoppelt („elevated mixed layer“ = EML) vom Boden mit der kräftigen Westströmung ostwärts verfrachtet werden. Die Luft aus dem Golf von Mexiko ist zwar feucht, aber durch den Höhenrücken stark gedeckelt. Beide Luftmassen sind isoliert betrachtet nicht fähig, Gewitter zu erzeugen (trocken/gedeckelt).

Vierundzwanzig Stunden später überlagerte jedoch die EML die feuchte Bodenluft. Wird nun die gesamte Luftsäule gehoben, kühlt die trockene Luft stärker als die feuchte Luft ab (trockenadiabatisch vs. feuchtadiabatische Temperaturänderung), potentielle Energie wird erzeugt.

Mit dem herannahenden Kurzwellentrog wurde die potentielle Energie freigesetzt, in der Folge bildeten sich zahlreiche Superzellen und insgesamt 148 Tornados, darunter 24 Tornados der Stärke F4 (> 333 km/h) und 6 Tornados der Stärke F5 (> 419 km/h). 330 Menschen starben, über 5000 Verletzte wurden gezählt.

Im Gegensatz zu zahlreichen Darstellungen in den Medien treffen hier nicht zwei unterschiedlich temperierte Luftmassen aufeinander (auch „clash of air masses“ genannt), sondern zwei unterschiedlich feuchte Luftmassen werden überlagert. Die für tornadische Superzellenbildung notwendige Windscherung liefern Jetstream („Deep-Layer Shear„) und Bodentief („Low-Level-Shear„).

Der Outbreak erfolgt schließlich unmittelbar vor Kaltfrontdurchgang in südwestlicher Strömung (= Hauptzugrichtung von Tornados in den USA) nahe dem Okklusionspunkt, im Bereich der stärksten Hebung.

Farben analog zur USA-Karte, Quelle: maps-for-free.com

In Europa ist die Topographie viel komplexer als in den USA: Weite Teile Mitteleuropas bestehen aus Mittelgebirgen, zudem ist die Feuchtequelle Mittelmeer durch Zentralmassiv, Alpen und Dinariden vom Kontinent abgeschirmt.

Ebenso wie in den USA existiert in Europa eine Zone gehäuften Tornadovorkommens entlang einer „Alley„, wie die ESWD-Datenbank belegt. Sie reicht von Südengland, Nordfrankreich, Belgien, Niederlande, Nordwestdeutschland über Südschweden bis Südostfinnland. Diese Regionen liegen klimatologisch gesehen in der Nähe zum Polarfrontjet und damit im Wirkungsbereich von Jetstreams und kräftiger Bodentiefs. Auch wenn extreme CAPE-Mengen über 3000 J/kg selten sind und noch seltener freigesetzt werden, sind starke Tornados bekannt, z.B. 1764 in Woldegk, Mecklenburg-Vorpommern (F5/T11) oder 1968 in Pforzheim, Baden-Württemberg bzw. 2008 in Hautmont, Nordfrankreich (beide F4/T8).

In den anderen Regionen gibt es regionale Häufungen, oft in Zusammenspiel von Meeresluft und Gebirgsströmungen (Föhn), z.B. in der Poebene, in der südlichen Steiermark bis zum Wiener Becken sowie im östlichen Rumänien und nahe dem Schwarzen Meer. Speziell in Südostfinnland sind Kurzwellentröge im Lee des skandinavischen Gebirges oft verschärft. Im Jahr 2011 traten dort ca. 40 Tornados auf.

In Deutschland ist die typische Situation ein Trog über Westeuropa mit starker Südwestströmung an der Vorderseite. Ein flaches Bodentief zieht daran nordostwärts und sorgt bodennah für rückdrehende Winde, die tornadische Windscherung erzeugen. Feuchtequelle sind das Mittelmeer und die erwähnte Evapotranspiration, die EML wird durch das Atlasgebirge, die Spanische Hochebene sowie durch das Absinken nordöstlich der Pyrenäen lukriert.

In Summe aber zeigt die Häufigkeitsverteilung zwei unterschiedliche Mechanismen, die zu erhöhtem Tornadopotential führen: In der Tornado-Alley vor allem in Zusammenhang mit der Frontalzone (viel Höhenwind, wenig Labilität), in den lokalen Hotspots in Südeuropa durch ein Zusammenspiel energiereicher Luftmassen und Interaktion mit der Topographie.

1 Aldis – Statistik zur Polarität von Blitzen in Österreich

2 Van der Broeke et al.(2005), Cloud-to-Ground-Lightning Production in Strongly Forced, Low-Instability Convective Linies Associated with Damaging Wind

3 Bright et al. (2005), A physically based parameter for lightning prediction and its calibration in ensemble forecasts