Seit meiner frühen Kindheit kann ich mich daran erinnern, dass der Main über die Ufer trat und den ufernahen Radweg und die Altstadt in Miltenberg, 4 km flussaufwärts, überschwemmte. Ich erlebte die Hochwässer in den Jahren 1993, 1995, 1998, 2003 und 2011 hautnah mit, sowie kleinere Hochwässer im Februar und März 2002. Völlig neu war die Erfahrung eines Hochwassers an einem Gebirgsfluss, das Innhochwasser im August 2005. Innerhalb eines Tages stieg der Pegelstand über 3m an und schwappte teilweise über die Ufer. Die Unterschiede zwischen einem Mittelgebirgs- und einem Alpenfluss sind markant: Während die Scheitelwelle am Main durchschnittlich eine Woche bis zur Mündung braucht, sind es am Inn nicht einmal sechsunddreißig Stunden. Ebenfalls von Interesse und Ehrfurcht zugleich waren für mich die beiden Elbe-Hochwasser im August 2002 und März 2006, sowie das Pfingsthochwasser 1999. Das Jahrtausendhochwasser an der Donau im Juni 2013 verpasste ich gänzlich, weil ich zu der Zeit auf einer Unwetterkonferenz in Helsinki verweilte. Das letzte aktuelle Hochwassereignis fand Ende Oktober 2018 in Norditalien, Südtirol, Osttirol und Kärnten statt, wo intensiver Südstau mit verbreitet 300-600, lokal 850 Liter pro Quadratmeter innerhalb von nur 72 Stunden für Rekordwasserstände sorgte. Ganz anders die Situation nördlich der Alpen und in Deutschland, wo seit April 2018 große Trockenheit herrscht (Stand, November 2018).
Wetterlagen, die Hochwasser begünstigen
- Luftmassengrenzen bzw. schleifende Kaltfronten
- Vb-Lagen/Adriatiefs mit großflächigen Aufgleitniederschlägen und eingelagerten Schauern (Aufgleitlabilität)
- Durchzug mehrerer Sturmtiefs mit Tauwetter im Winter
- Föhnwetterlage mit hohen Taupunkten (Frühsommer) und entsprechend starker Schneeschmelze
- generell mildes Wetter, nicht notwendigerweise mit viel Niederschlag, nach vorausgegangener Niederschlagsperiode mit anschließendem Tauwetter
Abhängige Faktoren für die Wassermenge, die in die Zuflüsse gelangt
- Hier spielt die Höhe der Schneedecke (potentielle Abflussmenge) ebenso eine Rolle wie der Wassergehalt der Schneedecke selbst (Puffer/Schwamm-Effekt möglich?)
- Die Art des Schnees, ob sulzig oder gefroren, entscheidet, wie rasch die Schneedecke abschmelzt. Bei eisig gefrorener Schneedecke (Firnbildung) wird der Umgebungsluft durch den Schmelzvorgang viel Wärme entzogen, die fühlbaren Wärmeflüsse gehen zurück und der Tauvorgang verlangsamt sich.
- Art des Bodens: Sandlig-lehmiger Boden wie Parabraunerde (Regnitzgebiet) kann Wasser kaum speichern. Weite Teile des Maintals sind Weinanbaugebiet (kaum speicherfähige Böden, sandig, ehemals Muschelkalk).
- Zustand des Bodens: gefrorene oder übersättigte/überschwemmte Böden können kein zusätzliches Wasser mehr aufnehmen
- Intensität, Dauer und Flächenausmaß der Niederschläge: Großflächiges Aufgleiten ist effektiver als schauerartig-lokale Niederschläge. Je nach Ausmaß gibt es ein regionales oder überregionales Hochwasser
- Vegetationszustand: im Sommer kann mehr von Pflanzen gespeichert werden als im Winter, waldreiche Gebiete können mehr speichern als ackerreiche Gebiete
- Flächenversiegelung: Kanalisierung, Begradigungen, Versiegelungen, Ackerflächen, etc, die natürliche Retentionsflächen verkleinern.
- Schneefallgrenze: je höher, umso mehr Niederschlag wird abflusswirksam
Durchschnittliche Dauer einer Hochwasserlage (von der Scheitelwelle bis zur Mündung)
An Gebirgsflüssen ist die Dauer des Hochwassers an die Niederschlagsintensität gekoppelt. Mit nachlassendem Starkregen läuft meist zeitnah die Scheitelwelle ab. In flacherem Terrain gilt das nicht mehr, hier sind Abfluss und Scheitelwelle deutlich zeitversetzt, zumindest an den Hauptflüssen.
Im Alpenraum:
- Donau 1-3 Tage
- Mur/Inn 1-2 Tage
- Drau/Gail/Möll 24-36 Std.
Außerhalb der Alpen:
- Mosel 1-2 Tage
- Rhein mehrere Tage
- Main 5-7 Tage
- Elbe 2-3 Wochen
Bei länger anhaltend hohen Pegelständen wirkt sich Dauerfrost nach dem Niederschlagsereignis positiv auf den Rückgang des Hochwassers auf. So sorgte teils strenger Frost im Januar 2003 für ein Abflachen der Scheitelwelle am Main.
Von Bedeutung ist außerdem die räumliche Niederschlagsverteilung, da es gerade am Main selten vorkommt, dass alle vier Haupteinzugsgebiete gleichmäßig betroffen sind. Die Scheitelwellen der Nebenflüssen kommen zeitversetzt in den Main, wodurch zwischenzeitlich ein Stagnieren oder ein Rückgang des Pegelstands nachfolgende Scheitelwellen abflachen kann.
Saisonale Häufigkeiten von Hochwassern in Mitteleuropa
Alpenflüsse haben zwei Maxima, einmal Mai/Juni mit einsetzender Schneeschmelze in tiefen Lagen (Mai 2008 Inn, Pfingsten 1999, Juni 2009, Juni 2013), sowie ein sekundäres Maximum im August, wenn sehr labil geschichtete Luftmassen mit eingelagerten Gewittern von Norden gegen die Alpen geführt werden (Augst 2002, 2005).
Der Main sowie allgemein die deutschen Mittelgebirgszuflüsse sind ausschließlich im Winter von schwerem Hochwasser betroffen, wenn das Tauwetter bis in die Gipfellagen der Mitteleuropa vordringt und gleichzeitig Dauerregengebiete in kurzer Abfolge über die Einzugsgebiete ziehen (z.b. Weihnachten 1993, Januar 1995, 2003 und 2011). Eine Ausnahme stellt das Oktoberhochwasser 1998 dar.
Ein Tauwetterhochwasser gab es im Dezember 2010 auch an der Donau sowie im März 2006 an der Elbe.
Am Main sind erhöhte Pegelstände im Sommer sehr selten (zuletzt: Juni 1997).
Meldestufen des Hochwassernachrichtendiensts Bayern (HND)
- Meldestufe 1: Stellenweise kleinere Ausuferungen
- Meldestufe 2: Land- und forstwirtschaftliche Flächen überflutet oder leichte Verkehrsbehinderungen auf Hauptverkehrs- und Gemeindestraßen.
- Meldestufe 3: Einzelne bebaute Grundstücke oder Keller überflutet oder Sperrung überörtlicher Verkehrsverbindungen oder vereinzelter Einsatz der Wasser- oder Dammwehr erforderlich.
- Meldestufe 4: Bebaute Gebiete in größerem Umfang überflutet oder Einsatz der Wasser- oder Dammwehr in großem Umfang erforderlich.
Die Meldestufen richten sich nach örtlichen Gegebenheiten und nicht nach Jährlichkeiten. Beispielsweise tritt Meldestufe 3 an der unteren Aisch (nördlicher linker Zufluss der Regnitz) jedes Jahr auf, am schiffbaren Main nur alle 5 Jahre.
Einzugsgebiet des Mains
Das Einzugsgebiet des Mains umfasst ca. 27 200 km², bis zur Landesgrenze Bayern-Hessen sind es ca. 23 300 km² ( = 85 %). Die Länge des Mains beträgt ab dem Zusammenfluss des Weißen und Roten Mains bis zur Mündung in den Rhein bei Mainz rund 474 Kilometer. Davon liegen rund 405 Kilometer in Bayern. Rechnet man die Lauflänge des Roten Mains mit 53 Kilometern hinzu, so beträgt die gesamte Länge rund 527 Kilometer. So gerechnet ist der Main der längste Fluss, der vollständig innerhalb Deutschlands liegt.
Quelle Abbildung und Text: http://www.hap-main.de/p2089265249_378.html
Die Karte (Verwendung mit freundlicher Genehmigung durch die Regierung von Unterfranken, Sachgebiet Wasserbau und Wasserwirtschaft) zeigt das Einzugsgebiet des Mains mit den Grenzen der Regierungsbezirke sowie der Angrenzung an Hessen und Baden-Württemberg, die ebenfalls zum Einzugsgebiet gehören.
Die vier größten Zuflüsse zum Main sind…
- Einzugsgebiet des Obermains (Itz, Rodach, Roter und Weißer Main): Thüringer Wald, Frankenwald, Fichtelgebirge
- Einzugsgebiet der Regnitz (Fränkische Rezat, Aisch, Pegnitz): Fränkische Schweiz, Fränkische Alb
- Fränkische Saale und Sinn: Hochspessart, Rhön
- Tauber
Auf hessischer Seite folgt noch die Nidda, die unmittelbar vor Mündung des Mains in den Rhein in den Main mündet.
Verhalten der Zuflussgebiete
Die Zuflussgebiete des Mains zeigen unterschiedliches Verhalten: Die Scheitelwellen an Regnitz und Tauber laufen schneller ab als an Fränkischer Saale und Obermain. Dafür reagieren Saale und Regnitz rascher auf verhältnismäßig geringe Niederschläge, während es am Obermain ergiebig regnen muss, ehe etwas passiert. Insbesondere das Obermaingebiet fungiert bei Schneebedeckung längere Zeit als Puffer für den gefallenen Niederschlag, ehe das Schmelzwasser tatsächlich für starke Pegelanstiege sorgt.
– Regnitz und Nebenflüsse
Im Regnitzeinzugsgebiet genügen bei vorheriger Sättigung der Böden durch Niederschlag und/oder Schneeschmelze bereits geringe Regenmengen (10-20 mm), um die Meldestufen 1 und 2 zu erreichen, das Hochwasser schwillt dabei rasch an und ebenso rasch wieder ab, ausgenommen die unteren Zuflüsse (Aisch), wo über mehrere Tage oder sogar Wochen hohe Pegelstände erreicht werden.
Erhöhte Aufmerksamkeit gilt im Frühjahr, wenn tageszeitlich bedingte Schneeschmelze (Tagesgang der Temperatur, erhöhter Sonnenstand) zu teils beträchtlichen Pegelanstiegen führt (in den letzten Jahren einmal im März/April vorgekommen, ging bis Meldestufe 4)
– Obermain und Nebenflüsse
Im Obermaingebiet müssen schon größere Regenmengen fallen bzw. starkes Tauwetter herrschen, damit dort die Pegel stark ansteigen. Ein heißer Kandidat für Meldestufe 3 bis 4 ist dabei die Itz bei Coburg, was bei beinahe jedem mittleren Hochwasser vorkommt. Gibt es sowohl ein starkes Hochwasser am Obermain als auch an der Regnitz (mind. Meldestufe 3), kann man am schiffbaren Main unterhalb Bambergs ebenfalls von einem Überschreiten der Meldestufe 2 ausgehen, da dann die Scheitelwellen beider Nebenflüsse nahezu zeitgleich zusammentreffen.
– Fränkische Saale und Sinn
Im Einzugsgebiet der Fränkischen Saale genügen wiederum geringere Regenmengen, um zu raschen Pegelanstiegen zu führen. Hier spielen vor allem Tauwetter und Stauniederschläge an der Rhön eine wichtige Rolle. Der höchste Wasserstand am Unterlauf der Saale (Wolfsmünster) wurde am 3.1.2003 mit 650 cm erreicht (normal sind 200 cm). Die Zuflüsse schwellen hier ebenso rasch an wie ab.
– Tauber
Die Tauber verhält sich wie ein Alpenfluss. Sie schwillt rasch an und wieder ab, die Scheitelwelle ist meist innerhalb zwei Tagen durchgelaufen. Die Meldestufe 4 wurde zuletzt 1998 überschritten. Bei gleichzeitig starkem Hochwasser am Main ist besonders Wertheim an der Mündung einstaugefährdet.
Scheitelwellen am Main
Der Durchgang der Scheitelwelle dauert am Main oft mehrere Tage und kann durch die Regulierung mit Staustufen künstlich abgefedert werden. Sonst flachen natürliche Einflüsse wie Dauerfrost und Schneefall (Schwamm-Effekt) die Welle ab.
Schwierig ist die Prognose am Main deshalb, weil die Scheitelwellen der Nebenflüsse zu unterschiedlichen Zeitpunkten den Main erreichen. Die Regnitz ist tendenziell etwas schneller als der Obermain, dafür ist zwischen Bamburg und Steinbach eine längere Lücke mit kaum abflussrelevanten Nebenflüssen. Diese verhindert, dass die Scheitelwelle(n) von Regnitz und Obermain in unverminderter Wucht auf die Scheitelwelle der Fränkischen Saale trifft. Oft findet vorher ein leichtes Abflachen statt, im Januar 2011 wurden auf diese Weise Rekordpegelstände von über 700 cm (normal: 120 bis 160 cm) am Untermain verhindert, es blieb bei zwei langgestreckten Scheitelwellen ähnlichen Pegelhöchststands (mehr dazu in der Fallstudie).
Für ein Hochwasser der Meldestufe 4 dürfen die Intervalle zwischen den Scheitelwellen der Nebenflüsse also nicht zu lang sein.
Rolle des Niederschlags
Da der Main von Ost nach West fließt, bekommt das gesamte Einzugsgebiet bei Regenfronten, die von West nach Ost ziehen ab, Niederschlag ab. Es hängt nun davon ab, wo es am längsten und stärksten regnet, aber tendenziell werden die stromabwärtigen Zuflüsse (Tauber, Fränkische Saale) rascher steigen als die stromaufwärtigen Zuflüsse. Alleine dadurch ergibt sich eine zeitversetzte Scheitelwelle. In den meisten Fällen ist die erste Welle schon durch, ehe die zweite nachkommt. Dann kann sich auch eine stärkere, zweite Welle relativ schnell in Wohlgefallen auflösen, wenn weiter stromabwärts die Wasserstände schon am Sinken sind.
Auch macht sich Tauwetter am ehesten in den stromabwärtigen Zuflussgebieten bemerkbar, die von der Höhenlage niedriger sind (Odenwald, Spessart, Steigerwald) und wo die Kaltluft meist schneller ausgeräumt wird als speziell östlich der Regnitz (Fränkische Schweiz) und am Obermain (Fichtelgebirge, Frankenwald, Thüringer Wald).
Das stark verzögerte, manchmal unerwartet träge Tauwetter am Obermain kann eine Schlüsselrolle spielen, ob ein markantes Hochwasser am Main auftritt oder nicht.