Meteorologen sind Journalisten mit Spezialbereich Wetter.
Die beste Prognose nützt nichts, wenn sie nicht kommuniziert werden kann. Monatsrückblicke, Aussagen zu Unwettergefahren, Ankündigungen einer Hitzewelle – das findet über Presseaussendungen statt. Diese werden über die Online-Medien und über die Printmedien verbreitet. Auch der tägliche Wetterbericht wird noch über Fernsehen, Radio und Zeitungen verbreitet. Die Printmedienbranche leidet seit der Massennutzung des Internets unter dem Wegfall der zuvor lukrativen und geschäftserhaltenden Werbeeinnahmen.
Ein Wetterbericht durch den Meteorologen ist zeitaufwendig, und zwar unabhängig davon, wie viele Zeichen ihm in der Zeitung oder online zur Verfügung stehen. Ob 80 Zeichen oder 300 Zeichen, der Meteorologe muss die Wetterlage mit derselben Genauigkeit erfassen und interpretieren. In gewisser Weise sind die kurzen Wetterberichte sogar herausfordender, weil man sich immer überlegen muss, welche Information weggelassen wird. Bei sich rasch änderten Wetterlagen oder Unwetterlagen ist das eine mitunter schwierige Güterabwägung. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis leidet unter den schwindenden Einnahmen gerade im Zeitungsbereich.
Ein weiterer Faktor ist, dass die Menschen nicht mehr darauf angewiesen sind, TV, Radio und Zeitungen zu konsultieren, sondern sich ihr Wetter selbst zusammenstellen können. Dafür reicht bereits die Benützung der Suchmaschine Google. Die Eingabe „Wien Wetter“ liefert mit einem Klick einen Wetterbericht. Unzählige Online-Anbieter versprechen Punktprognosen. Die Smartphone-Nutzung hat die Eigenständigkeit der Konsumenten gefördert. Wetter-Apps sind jederzeit verfügbar und liefern ebenfalls vermeintliche Punktprognosen.
In der ARD-Sendung „W wie Wissen“ vom 30. April 2016 hat man die Seriösität von Wetter-Apps am Beispiel Ostseeküstenwetter untersucht. Es stellte sich heraus, dass die Tourismusbranche dort an einem Rückgang der Besucherzahlen leidet, weil die Wetter-Apps oft negative Prognosen zeigen, während das Küstenwetter ganz anders ist. Das Land-See-Windsystem verursacht etwa unmittelbar an der Küste durch den stabilisierenden Seewind anderes Wetter als z.B. zwei Kilometer weiter im Landesinneren, wo die feuchte Luft erst zu Schauerwolken aufsteigt. Solche extrem kleinräumigen Effekte kann eine Wetter-App, die aus dem „Direct Model Output“ (DMO) des Wettermodells erzeugt wird, aber nicht abbilden. Es zeigt Schauer- oder gar Regensymbole, und der Tourist bleibt zuhause oder fährt woanders hin. Früher hat er vor Ort angerufen und sich erkundigt. Einheimische in derart sensiblen Gebieten wissen in der Regel Bescheid, was das Land-See-System für Auswirkungen hat. Das Gleiche gilt auch für (erfahrene) Hüttenwirte in den Bergen, die besser abschätzen können, „welches Wetter von welchem Berg herziehen kann“ als Wetter-Apps, deren zugrundeliegende Modelldaten Berg und Tal nicht einmal richtig auflösen können, sondern eine gleichförmige Fläche rechnen.
Leider leidet die Erfahrung einerseits am dramatischen Schwund an Hüttenwirten und andererseits daran, dass (unerfahrene) Hüttenwirte nur noch von Online-Anbietern etwas ausdrucken statt wenigstens den Wetterbericht vom Alpenverein auszuhängen, bei dem ebenfalls Meteorologen mit Alpinerfahrung beteiligt sind. Die in situ Informationsbeschaffung nimmt also ab, was nicht nur für Tourismus gilt, sondern für die gesamte Vorhersagebranche.
Wetter-Apps funktionieren besser im flachen Gelände (z.B. Norddeutsches Tiefland, nördliches Oberbayern, Wiener Becken) und schlechter im hügeligen oder gar alpinen Gelände. Die Seriösität hängt auch von der Stabilität der Luftschichtung ab. Bei frontalem Wettergeschehen mit Warmfront und Kaltfront ist der Wetterablauf allgemein besser vorherzusagen als bei gradientschwachen Lagen mit geringer Luftbewegung. In der ARD-Sendung wurde dazu der treffende Vergleich mit kochendem Wasser verwendet. Es unterliegt dem Zufall, wo die Siedebläschen aufsteigen. Zwar lässt sich der Zufall meteorologisch eingrenzen, weil Feuchte, Labilität und Hebung für Schauer vorhanden sein müssen, und bodennahe Windströmungen einen Hinweis darauf liefern, wo Schauer oder Gewitter entstehen können. Jedoch hängen diese Windströmungen zum Teil von der Topographie ab, zum Teil von anderen Faktoren, und eine Restunsicherheit bleibt dann bestehen, die selbst hochaufgelöste Lokalmodelle nicht perfekt in den Griff bekommen. Bei einer Schauerlage zeigt die Wetter-App also mitunter stundenlang ein Regensymbol am falschen Ort und zur falschen Zeit mit einer unrealistischen Verweildauer. Was bei Schauern noch undramatisch ist, kann bei Gewittern gefährlich werden, wenn die App für das exponierte Gelände, in dem man sich gerade aufhält, Sonnenschein zeigt, und ein aufziehendes Unwetter nicht abbildet. In diesem Fall ist der diensthabende Meteorologe die bessere Wahl, denn dieser hat das Wetterradar immer im Blickfeld und besitzt auch die Erfahrung, um Fehlechos oder beginnende Gewitter- und Hagelbildung am Radar richtig einzuschätzen.
Ein weiteres Problem von Wetter-Apps ist oft, dass man die Quelle nicht weiß. Es stört mich ja schon generell, wenn über Wetterfrösche geschimpft wird mit den Angaben „Laut Wetterbericht sollte es trocken bleiben“. Ja, welcher Wetterbericht? Und von wann? Die verfügbaren Modelldaten werden je nach Quelle alle sechs bis zwölf Stunden aktualisiert. Auch variiert der Wetterbericht je nach addressiertem Kunden. Die 30 Sekunden Wetter im Radio decken oft ein riesiges Gebiet ab und sind entsprechend sehr vage für eine spezifische Region. Tourismuswetter wird eher beschönigend sein, denn der Gastwirt möchte keine Tagesgäste abgeschreckt wissen. Im TV-Wetter, gerade in Kurzübersichten, müssen wenige Symbole eine riesige Fläche abdecken. Wetterverlauf, Verweildauer, Art und Intensität des Niederschlags und Sonnenanteil kommen da zu kurz.
Wetter-Apps benutzen immer dasselbe Wettermodell. Nun variiert die Trefferquote des Modells aber bisweilen je nach Wetterlage. Andere Modelle erfassen dann den Ausgangszustand besser als das Modell, das für die App verwendet wurde. Das weiß der Konsument aber nicht, während sich Meteorologen in der Regel an das Modell halten, das den Anfangszustand am besten erfasst bzw. bei bestimmten Wetterlage erfahrungsgemäß die besten Ergebnisse erzielt. Dies lässt sich oft textlich besser erfassen, mit Angabe der Unsicherheit, als in Symbolen oder Diagrammen (außer mit einem Unsicherheitsbalken).
Die Essenz des Ganzen:
Texte werden vom Meteorologen geschrieben, während Apps und „Punktprognosen“ auf einschlägigen Wetterseiten direkt vom Modell kommen, ohne dass der Meteorologe eingreifen kann. Um die Erfahrung und mehrere Wettermodelle zu berücksichtigen, sollte ein Konsument also lieber die Information beim Menschen suchen, nicht bei der Maschine. Klar, Fehleinschätzungen gibt es immer, aber ich persönlich erspare mir lieber, bei einem heftigen Gewitter mit Hagel und Sturmböen vom exponierten Gipfelgrat abzusteigen, weil die App den ganzen Tag nur harmlose Quellwolken angedeutet hat. Eine Fehlprognose des Menschen, der irrtümlich Gewitter prognostiziert hat, ist keine Gefahr für mein Leben. Abseits von Unwettergefahren hat es eben auch negative Auswirkungen auf die Tourismusbranche, wenn kleinräumige Wetterphänomene wie an einem Küstenstreifen oder in einem engen Alpental falsch prognostiziert werden. Und ganz wesentlich ist eben, dass Apps NICHT vom Meteorologen programmiert und beeinflusst werden. Damit gehen sukzessive Arbeitsplätze verloren, was gerade als ein Verlust an Erfahrung besonders schade ist.
Ein Wort noch zu Symbolen und Unsicherheit:
In der ARD-Sendung hat man vier verschiedene Wettersymbole gezeigt, die für dasselbe Wetter standen, aber unterschiedlich interpretiert wurden. Symbole sollen einen ersten Eindruck geben und repräsentativ für den Tag sein, nicht mehr und nicht weniger. Auch hier lässt sich textlich wesentlich mehr aussagen, etwas, was eine App nicht leisten kann.
Die Leute wurden außerdem befragt, was sie sich unter der Angabe einer 60%igen Regenwahrscheinlichkeit vorstellen:
- A) Es regnet in 60 % der Fläche meines Landes
- B) Es regnet zu 60 % der Zeit.
- C) 60 % der Wetterexperten glauben, dass es regnet
- D) An 60 % aller Tage mit dieser Wetterlage regnet es (= 6 von 10 Tagen).
Korrekt ist natürlich D, aber vor allem A und B werden am häufigsten als richtig angenommen.
Die Prozentangabe ist nur eine Wahrscheinlichkeit bzw. Risikoangabe. Sie sagt nichts darüber aus, …
- welche Art von Niederschlag (Schauer, Regen) gemeint ist,
- an welchem Ort er stattfindet,
- und wie lange der Niederschlag andauert.
60 % heißen lediglich, dass es ein wenig wahrscheinlicher ist, dass es überhaupt regnet als dass es nicht regnet, während man bei 90 % davon ausgehen kann, dass Regen sehr wahrscheinlich ist. 100 % wird man sehr selten als Angabe finden, vor allem nicht, je weiter der Zieltermin entfernt ist und je instabiler die Luftschichtung ist (vgl. Zufall des Aufsteigens von Siedebläschen). Unsicherheiten sind jedoch wichtig, sie liefern dem Konsumenten eine Zusatzinfo, wie realistisch das Szenario ist, das ihm präsentiert wird. In der Regel wird immer das wahrscheinlichste Szenario abgebildet, aber manchmal ist die Modelllage so gegensätzlich, dass es mehrere Szenarien gibt und keines zu bevorzugen ist bzw. ein Alternativszenario ganz andere Auswirkungen haben kann.
Dies möchte ich anhand des folgenden Beispiels erläutern.
Die beiden roten Pfeile zeigen unterschiedliche Zugbahnen eines Sturmtiefs (T), eine nördliche Zugbahn (A) und eine südliche Zugbahn (B). Die blauen Pfeile zeigen die Lage und Orientierung des Starkwindfelds im Warmsektor.
Im nördlichen Szenario (A) zieht das Tief über Südengland und das Norddeutsche Tiefland ostwärts, das Starkwindfeld beeinflusst eher die Mittelgebirge und sorgt mitunter in exponierten Lagen für Sturm- oder Orkanböen. Der Süden Deutschlands ist geringer beeinflusst, mitunter wird es zwar föhnig, aber nicht extrem windig (das hängt natürlich auch davon ab, wie groß das Tief ist – man gehe hier von einem kleinräumigen Sturmtief wie etwa LOTHAR an Weihnachten 1999 aus).
Im südlichen Szenario (B) sind die Auswirkungen für den Alpenraum und das Alpenvorland deutlich dramatischer. Zwischen dem Tiefdruckkern und dem Alpennordrand muss ein großes Luftvolumen durchgeschleust werden, es kommt zu einem Düseneffekt. Bei einer solchen Konstellation reichte es auf den Bergen bei Orkan Lothar, aber auch bei KYRILL (18.1.2007) für Windspitzen über 200 km/h entlang des Alpenrandes. Zudem stellt sich ein großer Druckgradient zwischen Südalpen und Alpenvorland ein, entsprechend weht im Gebirge stürmischer Südwestwind, was kräftige Föhnböen im Nordalpenbereich erzeugen kann.
Weder in einer Wetter-App noch in sonstigen reinen Symbolprognosen lassen sich diese zwei Szenarien gut abbilden. In Großbritannien verwendet man bereits derartige graphische Aufbereitungen, um Unsicherheiten auszudrücken und die Bewohner auf unterschiedliche Zugbahnen mit unterschiedlichen Auswirkungen aufmerksam zu machen. Das kann etwa dazu führen, dass auch bei einem geringeren Risiko des „worst case scenarios“ eine Wanderung abgesagt wird oder Vorkehrungen für den Autostellplatz getroffen werden (nicht unter einem Baum, sondern an einem geschützten Ort).