Konzeptionelle Modelle von (Sturm-)Zyklonen
Die Entstehung der Tiefdruckgebiete wird bis heute in den meisten Lehrbüchern mit der klassischen Theorie nach Vilhelm Bjerknes (1862-1951) begründet, Professor für Physik an der Universität Stockholm. Nach dem ersten Weltkrieg erkannte er anhand eines dichten Beobachtungsnetzes die unterschiedlichen Niederschlagsschwerpunkte bei Durchzug eines Tiefdruckgebiets und legte damit den Grundstein für die Polarfronttheorie, gemäß der sich Tiefdruckgebiete an einer frontalen Welle entwickeln. Das Norwegermodell der Zyklone ist bis heute gültig und erklärt die meisten Tiefdruckentwicklungen in den gemäßigten Breiten. Im Jahr 1990 veröffentlichten Shapiro und Keyser einen viel beachteten Artikel über ein alternatives Zyklonenmodell, das ohne den klassischen Okklusionsprozess auskommt. Die Shapiro-Keyser-Zyklone fand aber erst in den letzten fünf bis zehn Jahren zunehmend Beachtung in Europa, nicht zuletzt besteht die Vermutung [meinerseits], dass dieses Zyklonenmodell mit dem Klimawandel und dem vermehrten Auftreten südlicher Westlagen zugenommen hat. Damit einher geht die Gefahr eng begrenzter Starkwindphänomene, sogenannte Sting Jets, welche ein hohes Schadenspotential entfalten können. Prominenter Vertreter der Norwegerzyklone war Orkan Lothar am 26.12.1999, während Orkan Xavier am 5.10.2017 für eine Reihe schadensbringender Shapiro-Keyser-Zyklone der letzten Jahre steht.
1. Norwegerzyklone
Der bekannte Ablauf einer Tiefdruckentwicklung an der Frontalzone: Es bildet sich eine offene Welle (I), die mit zunehmenden Druckfall Warm- und Kaltfront ausbildet (II). Die Kaltfront holt mit fortschreitender Lebensdauer die Warmfront ein und der Okklusionsprozess setzt ein (III). Im Reifestadium okkludiert das Tief weiter, der Warmsektor wird kleiner (IV).
Nicht immer finden alle Prozesse statt. Manche Tiefdruckgebiete okkludieren nie vollständig, andere entwickeln eine Okklusion, ohne dass eine Kaltfront beteiligt ist („instant occlusion process“). Mehr zu den – im Satellitenbild sichtbaren – Prozessen während einer Tiefdruckentwicklung kann man im hervorragenden Satellitenbild-Tutorial der ZAMG nachlesen.
1.1 Warmsektorsturm
Von West nach Ost ziehende Tiefdruckgebiete haben den Bereich des stärksten Winds häufig im Warmsektor mit Südwestwind. Das liegt daran, dass Stürme keine statischen Gebilde sind, sondern sich mit der Umgebungsströmung verlagern. Je kleiner ein Tiefdruckgebiet, umso stärker wird es von der Hintergrundströmung beeinflusst.
Der größere Wirbel steuert immer den Kleineren
… besagt eine synoptische Regel.
Daraus resultiert, dass bei starker Südwest-Nordost-Strömung eine rasche Verlagerung (engl.: Translation) des Tiefdruckgebiets von Südwest nach Nordost erfolgt. Da das Tiefdruckgebiet selbst rotiert, also die Winde gegen den Uhrzeigersinn um den Tiefdruckkern wehen, addieren sich an der Tiefvorderseite Verlagerungs- und Rotationsgeschwindigkeit. An der Tiefnordseite passiert das Gegenteil: Das Tief verlagert sich nordostwärts, aber der Wind weht südwestwärts. Die Rotation subtrahiert sich von der Translation und die Winde sind deutlich schwächer.
In der Vorhersage vom 14. Dezember, 12 UTC für Freitag, 16. Dezember 2011, 00 UTC vom GFS-Modell sieht man sehr schön die beschriebenen Unterschiede mit dem stärksten Mittelwind an der Südostflanke des Tiefs, mit 105 Knoten in 850 hPa (ca. 195 km/h), und erheblich schwächerem Mittelwind an der Nordwestflanke, mit nur 25 Knoten (ca. 45 km/h).
Tiefdruckgebiete verlagern sich immer in Richtung des stärksten Windes, weshalb die Mehrzahl aller Stürme nordostwärts zieht (= Warmsektorsturm). Tiefdruckgebiete mit Nordwest-Südost-Zugbahn sind sehr selten, z.B. Orkan Klaus am 24.1.2009 über Frankreich:
Die 850 hPa Geopotential+Temperaturkarte zeigt die stärkste Isohypsendrängung an der Tiefrückseite über der Biskaya bzw. Südfrankreich und Nordspanien. Spitzenreiter bei den Windböen war die Station Punta Candeeira auf 254 m Höhe an der Nordküste Galiziens mit 215 km/h, aber auch sonst wurden verbreitet zwischen 120 und 170 km/h gemeldet.
Im Warmsektor ist die Luft stabil geschichtet, sodass die starken Winde nur in Ausnahmefällen bis zum Boden herabgemischt werden. LeChateliers Prinzip des kleinsten Zwangs sei Dank. Die Naturgesetze haben gewissermaßen eine Kindersicherung eingebaut, sodass Starkwindfelder stabil geschichtet sind und im instabilsten Bereich meist deutlich schwächere Höhenwinde vorherrschen.
Zudem führt die Warmluftadvektion zu großflächigen Aufgleitniederschlägen, welche wiederum für gesättigte Luftschichten verantwortlich sind. Diese weisen bei stabiler Luftschichtung weniger Abwärtsimpuls als bei labiler Schichtung auf – und dämpfen die finale Windgeschwindigkeit am Boden. So hat es im oben gezeigten Beispiel bei Sturmtief Joachim Mittelwinde bis zu 160 km/h in 850 hPa gegeben, im Flachland waren es immerhin noch 90 bis 100, stellenweise 110 km/h.
Einschränkung: Auch beim Warmsektorsturm sind in tiefen Lagen große Windgeschwindigkeiten möglich, wenn orographische Wellenbildung hinzukommt:
Zum Einen gab es Kanalisierungseffekte am Oberrhein mit Südwind über 100 km/h in Spitzen, zum Anderen wurde selbst in der Cham-Further-Senke bei Eschlkam (460m) eine Windspitze von 107 km/h gemessen, mehr als gleichzeitig auf den Kammlagen des benachbarten Oberpfälzer und Bayrischen Waldes.
Die Ursache für diese lokalen Starkwinde ist der Bernoulli-Effekt:
Kinetische Energie (Bewegung) + potentielle Energie (Lage) = konstant.
Ekin = 0,5 * m* v² (m = Masse, v = Geschwindigkeit)
Epot = m*g*h (g = Erdbeschleunigung, h = Höhe des Luftstroms)
Setzt man beides in die Gleichung, kürzt sich die Masse weg: 0,5 v² = g*h
- Bis zur Engstelle: Die Luft wird abgebremst, v nimmt ab, damit auch Ekin. Epot nimmt folglich zu, damit auch die Höhe h des Luftstroms.
- Nach der Engstelle: Die Luft kann sich wieder auf ein größeres Volumen verteilen, da die Seitenwände wegrücken, also nimmt h ab, dadurch v zu: Potentielle Energie wird in kinetische Energie umgewandelt und die Luft beschleunigt.
Deswegen hat Eschlkam bei Südwestwind so hohe Windgeschwindigkeiten. Umgekehrt tritt bei Böhmischen Wind (Nordostwind) der stärkste Wind südwestlich der Engstelle auf.
Neben Kanalisierung und Gap flow ist Föhn ein weitere Ursache für Starkwindereignisse in den Niederungen bei Warmsektorstürmen:
Bei starker Südwestströmung in Mittelgebirgshöhe resultierenden die stärksten Böen am Nordostrand des Gebirges, z.B. bei Harzföhn in Ilsenburg, oder bei Föhn im Erzgebirgsvorland (über Fichtelgebirge, Frankenwald und Westerzgebirge). So hatte Kyrill bereits im Warmsektor Orkanböen in Sachsen zur Folge. Prinzipiell können auch kleinere Mittelgebirge wie Rothaargebirge, Rhön oder Odenwald föhnbedingt verstärkte Spitzenböen erzeugen. Leider fehlt es hier an Stationsdichte.
Im Warmsektor von Orkan XYNTHIA (28.02.2010) wehte in Innsbruck 29 Stunden lang Föhn, davon 18 Stunden durchgehend mit Spitzen über 72 km/h, sowie maximale Spitzen um 100 km/h.
1.2 Trogsektorsturm
Trogsektorsturm bezeichnet alles nach der Kaltfront, wenn die Höhenkaltluft die Schichtung labilisiert und sich Schauer bilden. Nicht jeder Kaltfront eines Sturmtiefs folgt ein Trogsektorsturm. Manchmal entfernt sich der zugehörige Höhentrog und an der Tiefrückseite steigt mit dem nachrückenden Höhenrücken die Temperatur in der Höhe an. Ist dies nicht der Fall – überlappen sich also Höhentrog und Druckanstieg am Boden, fallen Starkwindband in der Höhe und Feuchtkonvektion zusammen. Dann kann der Höhenwind durch die Abwärtsbewegungen in Schauern und Gewittern bis zum Boden herabgemischt werden.
Im gezeigten Fall vom 12. Januar 2007, 06 UTC (Analyse) lag die Kaltfront des abziehenden Sturmtiefs bereits über Osteuropa, die Warmfront des nächsten Sturmtiefs schon über den Britischen Inseln. Durch das nachrückende Tief wurde der Hochdruckkeil rasch nach Osten geschoben und verschärfte rückseitig der Kaltfront die Luftdruckgegensätze (markierter Bereich), gleichzeitig führte Höhenkaltluft zu einigen Schauern. Der Flughafen Dresden meldete um 09 und 10 Uhr nochmals eine Spitzenböe von 79 km/h, in Görlitz (Oberlausitz) traten sogar 91 km/h auf, um 10 Uhr 86 km/h.
1.3 Kaltfrontdurchgang
Zu den spektakulärsten Vorgängen gehört sicherlich der Durchzug der Kaltfront im Reifestadium der Zyklone. Bestenfalls (für kräftige Windböen) überlappen sich Starkwindfeld und Höhenkaltluft an der Kaltfront, sodass sich eine geschlossene Linie aus Schauern und Gewittern bildet. Alles, was mit Linien zu tun hat, macht viel Wind, egal zu welcher Jahreszeit und bei welchem System (z.B. auch Regenbänder eines Hurrikans).
Die Abwinde der Schauer erzeugen flächiges Ausströmen der beschleunigten Kaltluft (Verdunstungskälte), welche die präfrontale Warmluft anheben und dadurch neue Schauer/Gewitter bilden. Es handelt sich dabei um eine thermisch direkte Zirkulation (Kaltluft sinkt ab, Warmluft steigt auf), die solange als perpetuum mobile fungiert, bis der Hebungsantrieb nachlässt. Sonneneinstrahlung ist dabei im Winter unterstützend, aber nicht primäre Quelle für kräftige Feuchtkonvektion.
Der spektakulärste Kaltfrontdurchgang der jüngeren Sturmsaison fand während dem Durchzug von Sturmtief „Fabienne“ statt. An der schmalen, aber heftigen Kaltfront mit zahlreichen Gewittern bildete sich ein sogenanntes „Line Echo Wave Pattern“ mit bogenförmigen Ausstülpungen an der Linie. Hier waren auch mehrere Mesozyklonen beteiligt (Tornadoverdachtsfälle). Es gab verbreitet Böen über 50kt.
Weitere prominente und teils verheerende Kaltfronten der letzten 15 Jahre entwickelten sich bei Orkan Kyrill (18.01.07)
und Orkan Emma (01.03.08):
Da die Kaltfronten jeweils im linken Jetauszug lagen, mit maximierter Windscherung und geringer statischer Stabilität, konnten sich Schwerewellen ausbilden. Sie sorgen für das Rippenmuster an der Kaltfront. In beiden Fällen traten an der Kaltfront verbreitet Orkanböen auf, in besonders kräftigen Gewittern gab es verbreitet Böen über 150 km/h, in höheren Lagen auch rund 200 km/h, wovon die abgedeckten Dächer und Waldschäden ein beredtes Zeugnis abgeben.
Kyrill verursachte über Sachsen-Anhalt und Brandenburg insgesamt drei Tornados der Stärke F3 (> 300 km/h), Emma war für einen seltenen F3-Downburst (geradlinige Winde!) in Braunau am Inn (Oberösterreich) verantwortlich.
1.4 Schnellläufer und Druckanstieg
Der Druckgradient ist entscheidend für die Windgeschwindigkeit, nicht der Kerndruck alleine. Gegenspieler sind hier immer das Tief und ein nachrückendes Bodenhoch. Nicht nur die räumliche Druckänderung ist von Bedeutung (d.h., wie dicht die Isobaren gedrängt sind), sondern auch die zeitliche Druckänderung. Sie wird üblicherweise in Synopmeldungen als dreistündige Druckänderung angegeben (hPa/3h). Orte mit denselben Druckänderungen werden miteinander verbunden. Daraus ergibt sich der isallobarische Druckgradient, (von gr. iso = gleich, allo = „von außen“ ).
Das bedeutet, dass auch Schnellläufer mit vermeintlich harmlosem Kerndruck von 990 hPa oder höher für Orkanböen sorgen können, da der Druck über dem Gebiet, wo das Tief hinwegzieht, eben eine rasche Änderung erfährt und als Folge der Wind stark zunimmt. Kommt beides zusammen: extreme Kerndruckvertiefung und rasche Verlagerung, hat man so etwas wie Orkan Lothar am 26.12.1999
In Westeuropa erreichte Lothar nie gesehene Falltendenzen von 27,7 hPa in 3 Stunden, und Steigtendenzen von 29,0 hPa. Spitzenböen von 172 km/h an der Kanalküste und in Paris waren die Folge.
Üblicherweise treten die stärksten Böen beim Druckanstieg auf („antizyklonaler Sturm“), da der Druckfall im Warmsektor unter stabil geschichteten Verhältnissen (+ Niederschlag) abläuft.
Quelle: Lothar 26.12.1999: Nowcasting mit Satellitenbildern
Lothar zog extrem schnell und hatte einen sehr niedrigen Kerndruck, sodass die räumliche und zeitliche Änderungen besonders groß waren. Im süddeutschen Flachland, in Teilen Frankreichs sowie in der Schweiz traten verbreitet Böen über 150 km/h auf, auf den Bergen waren es zum Teil weit über 200 km/h, am Wendelstein 259 km/h.
Ein weiterer Schnellläufer der jüngeren meteorologischen Geschichte war Orkan XAVIER, der am 5.Oktober 2017 über Norddeutschland hinwegfegte und vor allem in Hamburg und Berlin massive Sturmschäden anrichtete. Hier resultierten die Schäden jedoch nicht alleine aus dem Umstand der massiven Druckänderung, sondern hatten mit einem Sting Jet zu tun (s.u.).
2. Shapiro-Keyser-Zyklone
Beim Shapiro-Keyser-Modell ist der Ausgangszustand wie bei der Norwegerzyklone mit einer offenen Welle (I). Im Gegensatz zu dieser bleibt aber einer Lücke zwischen Warm- und Kaltfront bestehen (II), mit fortschreitender Entwicklung ringelt sich die Warmfront ein, während der Abstand zur Kaltfront vorhanden bleibt (III). Im Reifestadium übernimmt die Warmfront die Rolle der Okklusion und besteht oft aus massiven, teils gewittrigen Niederschlägen, während die Kaltfront mitunter inaktiv bleibt (IV).
Kernvoraussetzung für Shapiro-Keyser-Zyklonen ist das Vorhandensein eines doppelten Jetstreams, entweder Subtropenjet und Polarfrontjet oder eine Kombination einer der beiden infolge Aufspaltung des Jetstreams. Dort, wo beide Jetstreams zusammenkommen, liegt sowohl ein rechter Jeteinzug als auch ein linker Jetauszug vor („double jet configuration“).
2.1 Extratropische Umwandlung
Tropische Zyklone des Nordatlantiks entwickeln sich meist aus Easterly Waves bzw. großen Gewitterclustern über dem Meer. Sie verlagern sich nordwestwärts und nehmen in der Karibik bzw. im Golf von Mexiko Fahrt auf. Mehr oder weniger schadensträchtig überqueren sie die US-Ostküste und drehen dann nach Nordosten ab. Die meisten Tropenstürme bleiben auf dem Atlantik und richten als Fischsturm keinen Schaden an. Zwischen Neufundland und Azoren, seltener im Bereich der Kanarischen Inseln, nähern sich die Tropenstürme dann der Frontalzone an.
Gelangen tropische Zyklone in höhere Breiten, geraten sie unter Einfluss der Jetstreams, und die tropischen Eigenschaften gehen verloren. Der Zyklon bzw. das tropische Tiefdruckgebiet bildet mit Kopplung an einen Kurzwellentrog und entsprechender Vorticityadvektion Frontensysteme aus. Die tropischen Eigenschaften machen sich dennoch bemerkbar, da in Umwandlung sich befindliche tropische Zyklone weiterhin viel latente Wärme freisetzen können und hochreichend (konvektive) Frontwolkenfelder aufweisen.
Häufig geschieht die Umwandlung in das außertropische Tiefdruckgebiet durch eine sogenannte „T-Bone“-Zyklogenese (nach Shapiro & Keyser 1990), im deutschen Sprachgebrauch auch „Hammerkopf“-Zyklogenese genannt. Die Begrifflichkeit rührt vom Erscheinungsbild der Tiefdruckgebiete her:
Beispiel Ex-Hurrikan Leslie am 14. Oktober 2018 über Portugal
Während der Annäherung an Portugal nimmt die Konvektion im Kern des Sturms deutlich ab. Zugleich wird die Warmfront flächenhaft und stabil geschichtet. Es entwickelt sich eine schmale Kaltfront, die verhältnismäßig inaktiv bleibt. Charakteristisch auch für diese Umwandlung war die Entwicklung eines Sting Jets. Diesen habe ich einen eigenen Menüpunkt zugeordnet, weil das doch etwas umfangreicher wurde.
3. Faustregeln
- Durchmischung:
Warme Luft, die über kältere Bodenluft advehiert wird, führt zu einer Stabilisierung der gesamten Luftschicht, da warme Luft leichter ist und daher dazu strebt, aufzusteigen, also nicht in die darunterliegende Kaltluft abzusinken. Ausnahme ist Föhn.
Solange nun die gerechneten Starkwinde im Warmsektor auftreten, werden diese abseits von Leeeffekten/Föhn und konvektiv durchsetztem Niederschlag nicht bis zum Boden herabgemischt.
Beispielsweise rechnet das Modell 50kt in 850 Höhe, davon spürt man dann bei stabiler Schichtung nur 30kt am Boden. Man sagt auch, der Höhenwind ist von der Bodenschicht entkoppelt.
Anders ist es dann, wenn mit Kaltfront- bzw. Trogpassage in der Höhe Kaltluft vorauseilt und die darunterliegende, wärmere Luftmasse labilisiert. Der Temperaturverlauf kehrt sich um, die Temperatur nimmt nun mit der Höhe rasch ab. Kältere Luft in der Höhe strebt aber danach, in die wärmere Luft darunter abzusinken. Die Schichtung ist labil.
Dazu reicht schon aus, wenn die untersten 3km labil sind, in der der Höhenwind kräftig ist. Selbst wenn also in der mittleren Troposphäre ab 5 km eine Absinkinversion beginnt, die z.B. die Bildung von Gewittern verhindert, kann eine seichte Schauerlinie den Höhenwind in 850hPa herabmischen und Orkanböen hervorrufen.
Voraussetzung für hochreichende Feuchtkonvektion (Schauer, Gewitter) ist allerdings ein günstiges Umfeld, das aus Feuchtlabilität und Hebung besteht. Nur wenn beide Zutaten vorhanden sind, kann es zur Schauerentwicklung kommen. Wie bei Orkan Kyrill sind linker Jetauszug und Frontdurchgang gekoppelt. Die linke Ausgangsregion des Jetstreams bedeutet vereinfacht Hebungsantrieb und gleichzeitig statische Instabilität, die Feuchtkonvektion fördert. Genügend Bodenfeuchte ist in Form erhöhter Theta-e-Werte vorderseitig der Kaltfront/Okklusion vorhanden bzw. durch den zuvor im Warmsektor gefallenen Niederschlag.
- Mittelwinde:
Die 850 hPa-Windkarten zeigen Mittelwinde in der 850 hPa-Druckfläche. Diese liegt bei Standarddruck von 1013 hPa auf 1500 m und sinkt je nach Tiefdruckentwicklung auf 1200 bis 1000 m ab. In ozeanischen Orkantiefs und in Hurrikans sind auch weit niedrigere Höhen möglich. Vorausgesetzt, Schauer und Gewitter sind vorhanden, so kann man als Spitzenböe am Boden den Mittelwind in 850 hPa ansetzen.
Im Sommer sind die Böen stärker, da neben der Verdunstungskälte auch das Wassergewicht sowie Schmelzwärmeentzug von Hagel hinzukommt.
- Bodenwind:
Die Modelle hadern oft mit Grenzschichtprozessen (die Luftschicht über dem Boden, die von Reibung beeinflusst ist) und können auch nicht exakt wiedergeben, wann und wo Konvektion auftritt. Da meist nur (bis auf genannte Ausnahmen) in Konvektion Höhenwind herabtransportiert wird, können dies Bodenwinde im Modell nicht wiedergeben. Mit anderen Worten: Wenn das Modell einen Mittelwind von 50 km/h am Boden rechnet, heißt das noch lange nicht, dass die Spitzenböen nicht Orkanstärke erreichen können. Hierfür muss man immer die Schichtung, den Hebungsantrieb und den 850/925 hPa-Wind betrachten.
- Höhenwind:
Von welcher Höhe der Höhenwind herabgemischt wird, also vom 925, 850 oder 700 hPa-Niveau hängt von der Mächtigkeit des überströmten Gebirges oder von der Mächtigkeit der Feuchtkonvektion ab.
Bei Alpenföhn sind die 700 hPa-Winde zwar ein Anhaltspunkt, aber die Windbeschleunigung hat 2- bis 3-dim Ursachen. Wenn aber einmal 30 bis 40 Knoten Mittelwind gerechnet werden, kann alpennordseitig von starkem Föhn ausgegangen werden. Alpensüdseitig braucht es oft mehr.
Im Flachland kann bei über 700hPa hinausreichender Feuchtkonvektion davon ausgehen, dass der Wind aus mindestens 850hPa und teils auch 700hPa herabgemischt wird. Sofern in 700hPa keine bedeutende Zunahme gegenüber 850hPa erfolgt, genügt auch die Betrachtung des 850er-Windes.
Oberwinde in 500hPa sind dagegen weniger von Bedeutung, da die Wolkenschicht der Feuchtkonvektion hier häufig schon im oberen Drittel abgelangt sind, wo Abwindbeschleunigungen seltener anzutriffen sind.
Grundsätzlich gilt, dass Wind in einer Höhe, die von der Feuchtkonvektion gar nicht erreicht wird, auch nicht heruntergemischt werden kann. Bei positivem Lifted Index in 700 hPa ist ein Herabmischen aus dieser Höhe unwahrscheinlich.
Literatur:
1 New Concepts in Cyclone and Frontal Conceptual Models, Dr. David Schultz