Mainhochwasser 2011

Zusammenfassung

Das Hochwasser am Main im Januar 2011 war weniger in den Höchstständen als in seiner Dauer ungewöhnlich: Die Feuerwehr in Lohr am Main hatte den längsten Einsatz ihrer Geschichte (mehr als 7 Tage), die Wertheimer und Teile der Miltenberger Altstadt, aber auch die Ortsteile zahlreicher, weiterer Gemeinden am Main und einzelnen Zubringern standen für eine Woche unter Wasser. Das hat es seit mindestens 1988 nicht mehr gegeben. Insgesamt dauerte das Ereignis vom 08. bis zum 18. Januar (bezogen auf den Durchgang der Scheitelwellen), begonnen hat alles am 6.Januar mit dem einsetzenden Tauwetter und Dauerregen.

Das Hochwasser kam in zwei Scheitelwellen, wobei das Tauwetter eine maßgebliche und die Niederschläge eine sekundäre Rolle spielten. Die hohen Schneedecken pufferten den Regen ab und tauten wegen ihrer Vereisung nur langsam auf, sie sorgten durch den Kühlungseffekt der Umgebungsluft nur für eine langsam steigende Temperatur, sodass das Tauwetter verzögert erfolgte und nicht alle Zuflüsse zum Main gleich stark betroffen waren.

In Pettstadt/Regnitz wurde der höchste Abfluss seit 1909 erreicht (1.Welle), in Lauf an der Pegnitz der vierthöchste Abfluss seit 1970 (2. Welle). In Mainleus am Zusammenfluss der Quellflüsse wurde die Marke vom 13.02.2005 knapp verfehlt, damit auch die Top 5 seit 1986 (2.Welle). In Wolfsmünster/Fränkische Saale war es immerhin der zweithöchste Wasserstand seit 2003 (2.Welle) und der dritthöchste Abfluss in den Top 5 seit 1940. In Salz am Oberlauf der Fränkischen Saale wurde dafür der dritthöchste Abfluss seit 1967 (2. Welle) gemessen

In Steinbach war es der höchste Wasserstand seit 1998 (2. Welle), dafür blieben die Top 5 der Abflüsse seit 1941 unerreicht. Würzburg landete knapp unter 2003 (2.Welle) , Kleinheubach blieb über 1998, aber unter 2003 (2.Welle).

  • Scheitelwelle 1 wurde durch Tauwetter in den Niederungen und Regenmengen zwischen 20 und 50 mm verursacht, was starke Anstiege an den niederen, östlichen Saalezuflüssen, an der Tauber, an den niederen westlichen Regnitzzuflüssen sowie an den Quellflüssen des Mains und an der Itz zur Folge hatte.
  • Scheitelwelle 2 ging auf verzögertes Tauwetter in höheren Mittelgebirgslagen zurück, erst am Ende Oberfranken erreichend, dazu regnete es 10 bis 20 mm, nur gebietsweise 30-40 mm. Die Folge waren starke Anstiege an den höheren, westlichen Saalezuflüssen, an den höheren, östlichen Regnitzzuflüssen sowie an den Zuflüssen aus dem Thüringer Wald, Frankenwald und Fichtelgebirge.

Unterschiedlich einsetzendes Tauwetter hat flächendeckend starke Abflüsse im gesamten Einzugsgebiet verhindert, zudem war der Dauerregen beim zweiten Ereignis schwächer und kürzer als vorhergesagt.

In Summe haben die Anwohner am Main äußerst viel Glück gehabt, dass die hochwassergebenden Faktoren hier nicht gleichzeitig gegeben waren.

Ausgangslage

Nach dem 21.November 2010 verursachten Nordlagen zeitweise kräftige Schneefälle, nachfolgend gab es kurze Tauwetterphasen. Im Fichtelgebirge hat sich die Schneedecke im wesentlichen erhalten, anders dagegen in Unterfranken, wo die Nordwestlage um den 13.12.2010 die Schneedecke im südlichen Unterfranken vollständig abtaute, im nördlichen Unterfranken zumindest großteils.

Schneehöhen und Wassergehalt im Maineinzugsgebiet
Daten vom 31.12.10 und 4.1.11, nur geringfügige Verschiebungen zwischen beiden Terminen.

Nachfolgend setzte von Südwesten her Milderung und Tauwetter ein:

Bodendruck, 850 hPa Thetae (Luftmassen) am 06. Jänner 2011, 18 UTC

Am 6.Januar zog das erste Tief mit seiner Warmfront über die Mainregion hinweg und bis zum 9. Januar befand sie sich im Warmsektor eines Westeuropatiefs.

09. Jänner 2011, 18 UTC

Am 9. Januar tagsüber verlagerte sich eine Kaltfront ostwärts und beendete vorübergehend das Tauwetter.

12. Jänner 2011, 00 UTC

Eine schwache Okklusion überquerte das Gebiet vom 11. auf den 12.1.,

13. Jänner 2011, 18 UTC

eine eine markante, schleifende Warmfront vom 12. bis zum 14.1. nochmals Aufgleitniederschläge und Tauwetter brachte. Nachfolgend regierte der Warmsektor, eine schwache Kaltfront und nochmals Hochdruckeinfluss, ehe es ab 19. Januar merklich kälter wurde und das Tauwetter endgültig beendet wurde.

Gegenüberstellung der Scheitelwellen

Tabelle 1: Scheitelwelle 1 (8-13.1.), Uhrzeit in MEZ, Scheitel in cm

Pegel Tag Uhrzeit Scheitel
Mainleus 08 19 399
Schwürbitz 09 01 499
Kemmern 10 00 669
Trunstadt 10 01 660
Schweinfurt 10 17 637
Würzburg 11 20 629
Steinbach 12 05 600
Wertheim 12 13 580
Kleinheubach 12 18 573
Obernau 13 13 589
Frankfurt 13 21 479
Raunheim 13 19 499
Pettstadt (Regnitz) 9 13 593
Wolfsmünster (Fränkische Saale) 9 23 574
Tauberbischofheim (Tauber) 8 17 404

Tabelle 2: Scheitelwelle 2 (14-18.1.)

Pegel Tag Uhrzeit Scheitel
Mainleus 14 09 419 (+20)
Schwürbitz 14 20 544 (+45)
Kemmern 15 08 688 (+19)
Trunstadt 15 14 681 (+21)
Schweinfurt 16 04 653 (+16)
Würzburg 17 04 642 (+13)
Steinbach 17 15 618 (+18)
Wertheim 17 21 595 (+15)
Kleinheubach 18 02 584 (+11)
Obernau 18 09 598 (+9)
Frankfurt 18 20 484 (+5)
Raunheim 18 18 487 (-12)
Pettstadt (Regnitz) 15 02 538 (-55)
Wolfsmünster (Fränkische Saale) 14 19 606 (+32)
Tauberbischofheim (Tauber) 14 08 283 (-121)

(Angaben der Wasserstände sind Rohdaten vom HND und können daher fehlerhaft sein.)

Der Vergleich beider Scheitelwellen zeigt, dass die zweite Welle bis auf Raunheim, Regnitz und Tauber überall höher war. Den stärksten Zuwachs gab es am Obermain nach Zusammentreffen der Frankenwaldzuflüsse mit den Quellflüssen des Mains aus dem Fichtelgebirge. Hier war maßgeblich das starke Tauwetter ursächlich, das bei der ersten Welle kaum präsent war.

Eine starke Abnahme gab es im Tauber-Einzugsgebiet (Schneedecke beim ersten Ereignis bereits abgetaut, nur 5-10 l/m² beim zweiten Ereignis) sowie an der Regnitz, wo nur die östlichen Zuflüsse höhere Wasserstände als beim ersten Ereignis erreichten. Auch hier waren im Bereich der westlichen Zuflüsse die Schneedecken bereits abgetaut und außerdem verhältnismäßig wenig Niederschlag zu verzeichnen.

Die starke Abnahme in Raunheim, dessen Scheitel zwei Stunden vor Frankfurt erreicht wird, wurde vermutlich durch die Staustufenregulierung in Kostheim erreicht, wo das Walzenwehr hochgezogen wurde, um den stromaufwärtigen Wasserstand zu senken.

Laufzeiten der beiden Scheitelwellen

Laufzeit der ersten Scheitelwelle

Zur Wahl der Pegel: Mainleus befindet sich unmittelbar nach dem Zusammenschluss von Rotem und Weißem Main zum Main, Trunstadt liegt kurz nach der Mündung der Regnitz, Steinbach kurz nach Mündung der Fränkischen Saale. In Wertheim fließt die Tauber in den Main, kurz vor Kleinheubach die Mud.

Pegel 1 Pegel 2 Laufzeit (in Std.)
Mainleus Trunstadt 30
Trunstadt Schweinfurt 16
Schweinfurt Würzburg 23
Würzburg Steinbach 9
Steinbach Wertheim 13
Wertheim Kleinheubach 5
Kleinheubach Frankfurt 27
Mainleus Frankfurt 5 Tage und 2 Std.

Bis die Obermainwelle den Untermain erreicht, dauert es also über einen Tag und dann genau zwei Tage bis zur Mündung der Fränkischen Saale. In dieser Zeit kommen aufgrund wenig wasserführender Nebenflüsse kaum verstärkte Abflüsse in den Main, sodass sich die Scheitelwelle von Regnitz und Obermain abflachen kann. Die Welle hat Miltenberg (Kleinheubach) schließlich innerhalb eines Tages passiert und einen Tag später den Rhein erreicht.

Die Ausbildung der ersten Scheitelwelle erfolgt bis dahin in mehreren Schüben (vgl. Tabelle 1), wobei die der Tauber zuerst den Main erreicht (wie bereits 1995 und 2003), dann folgt die Regnitz, die Fränkische Saale und schließlich der Obermain. Zuerst also der untere, dann der obere, dann der mittlere und schließlich der obere Zufluss – daraus resultieren theoretisch vier Scheitelwellen, was die Pegelstandsprognose am Main so wahnsinnig kompliziert macht (hinzu kommen technische Einflüsse wie die Staustufenregulierung und evtl. geöffnete Retentionsflächen).

Zwischenfazit erste Scheitelwelle:

Zwischen wieder fallenden Wasserständen ab Steinbach und der Obermainwelle bei Kemmern liegen 3 Tage und 6 Stunden. Die schnellsten und stärksten Pegelanstiege (bis zu 200 cm in 24 Std.) am Untermain sind demzufolge maßgeblich von Tauber und Fränkische Saale verursacht. Obermain und Regnitz sorgen für eine langgezogene Scheitelwelle, der Anstieg am Untermain fällt daraus aber flacher aus.

Beim letzten großen Hochwasser im Jahr 2003 war es ähnlich: Die erste Scheitelwelle erreichte die Höchststände am Untermain, die zweite Scheitelwelle wenige Tage später von Obermain und Regnitz komend fiel knapp niedriger bzw. genau gleich aus.

Laufzeit der zweiten Scheitelwelle

Pegel 1 Pegel 2 Laufzeit (in Std.) Differenz zur 1.Welle
Mainleus Trunstadt 29 -1
Trunstadt Schweinfurt 14 -2
Schweinfurt Würzburg 24 +1
Würzburg Steinbach 11 +2
Steinbach Wertheim 6 -7
Wertheim Kleinheubach 5 0
Kleinheubach Frankfurt 18 -9
Mainleus Frankfurt 4 Tage und 11 Std. -15

An der Regnitz wurde der Scheitel erneut vor dem Obermain erreicht, jedoch im Gegensatz zur ersten Welle etwas früher, was mit dem steileren Gefälle der östlichen Regnitzzuflüsse begründet werden kann, die die Scheitelwellen rascher abfließen lassen, sowie allgemein mit erhöhten Abflüssen nach der ersten Welle.

Die Fränkischen Saale erreichte im Gegensatz zur ersten Welle deutlich vor der Obermainwelle bei Kemmern den Main (-12), auch hier wurden im Gegensatz zur ersten Welle die steileren Zuflüsse von der Rhön (Milz, Brend) stärker bedient, zuvor war es vor allem die Lauer (flacheres Terrain).

In beiden Fällen muss man die Ursache im starkem Tauwetter suchen, das auch höhere Lagen erfasst hat.

Zwischen Obermainwelle und Saalewelle lagen allerdings nur noch 2 Tage (-1 Tag), und das hat meiner Ansicht nach bewirkt, dass Steinbach den Höchststand von 2003 noch geknackt hat. Weiter stromabwärts sorgte der viel niedrigere Scheitel der Tauber und das frühe Eintreffen lange vor der Obermainwelle für nur noch geringe Anstiege gegenüber der ersten Scheitelwelle.

Zwischenfazit zweite Scheitelwelle:

Die Ergebnisse zeigen, dass die höhere Fließgeschwindigkeit vor der zweiten Scheitelwelle nicht zwangsläufig kürzere Laufzeiten zur Folge hatte. Sie wirkte sich am oberen Main nur marginal aus, zwischen Regnitz- und Saalemündung ergibt sich sogar eine etwas längere Laufzeit, da hier die Differenz zwischen Sohle und Scheitel wesentlich größer ist als weiter stromauf- und abwärts.

Unterhalb der Saalemündung ist die Laufzeit deutlich verkürzt, was mit dem Saaleabfluss zusammenhängen kann (höhere Wasserführung), aber auch mit der geringeren Sohle-Scheitel-Differenz.

Eigene Prognose

Besonders schwierig bei der Prognose der zweiten Welle war, dass es dies seit dem Frühjahr 1988 nicht mehr gegeben hat. Ich hatte also keinerlei Erfahrungswerte, was am Main passieren würde, wenn zwei Scheitelwellen aufeinanderfolgen. Meine Einschätzungen (Anm.: in einem Wetterforum) zur zweiten Welle musste ich also mehrfach korrigieren.

Zuerst ging ich aufgrund der Modelllage davon aus, dass ein Rekordhochwasser (über 700 cm) bevorstehen könnte. Das hatte ich auch 2003 vorausgesehen, damals zeigte aber nur GFS große Regenmengen. Diese Mal haben auch UKMO, EZMWF, GME und Lokalmodelle (z.B. GFS-WRF) viel Niederschlag gezeigt. Tatsächlich wurde der Flächenniederschlag als auch die Dauer des Ereignisses (minus 8-12 Std.) überschätzt, sodass sich die Scheitelwellen früher als gedacht formierten.

Eine weitere Fehleinschätzung betraf das Tauwetter, das im Frankenwald und Fichtelgebirge mit erheblicher Verzögerung einsetzte, nämlich erst im Laufe des 14. Januars, als die Oberläufe der anderen Zuflüsse bereits am Fallen waren. Die Laufzeit der Obermainabflüsse war zeitlich nach hinten versetzt und sorgte für eine langgezogene, aber keine steile Welle.

Im Prinzip bedingen die drei Faktoren Intensität und Dauer der Niederschläge sowie das Tauwetter immer die finale Größe des Hochwassers.

In einem Zwischenfazit bezweifelte ich, dass die Größenordnung von 2003 mit der zweiten Welle erreicht werden würde. Denn während dem neuerlichen Steigen der Wasserstände am Obermain und teilweise auch am Untermain stagnierten bzw. fielen die Pegelstände zwischen Schweinfurt und Steinbach leicht. Die zweite Scheitelwelle hätten dieses „Abflussloch“ mangels nennenswerter Zuflüsse nicht überkompensieren sollen, was aber tatsächlich doch der Fall war: So betrug der Wiederanstieg in Würzburg 180 cm!

In Würzburg lag der zweite Scheitel nur 6 cm unter dem Stand von 2003, in Steinbach wurden 1cm mehr als 2003 gemessen, in Wertheim und Kleinheubach wurden die Wasserstände von 2003 um 10 bzw. 20 cm verfehlt.

In Steinbach wurde mit einem Pegelstand von 6,18 m der von 2003 noch überboten. Hier wirkte der immer noch hohe Abfluss der sinkenden Fränkischen Saale aus.

Schlussfolgerungen

Das Mainhochwasser in der ersten Januarhälfte des Jahres 2011 zeichnete sich durch seine lange Dauer von anderthalb Wochen und konstant hohen Pegelständen aus, die zur großflächigen Überflutung bebauter Gebiete und Infrastruktur im Maintal führten. Im Gegensatz zu früheren Ereignissen (z.B. 1995, 1998 und 2003) waren die Niederschlagsmengen moderat, dafür stellte sich eine längere Tauwetterperiode ein.

Der Umstand, dass das Tauwetter zuerst nur die Niederungen und erst spät die höheren Lagen erfasste, sowie die lange Pufferwirkung der hohen Schneedecke als auch der vereiste Zustand der Schneedecke  (verlangsamter Schmelzprozess), bewirkte geringere Anstiege der Wasserstände als zunächst befürchtet.

Der zeitliche Versatz zwischen erster und zweiter Scheitelwelle von durchschnittlich 5 Tagen sowie stagnierende Pegelstände zwischen stromaufwärtigem Zufluss (Regnitz+Obermain) und stromabwärtigen Zufluss (Fränkische Saale + Tauber) ließen die zweite Scheitelwelle weit genug verflachen, dass die betroffenen Regionen am Main von einem Jahrhunderthochwasser verschont blieben.