Einleitung
Der Mai 2019 schloss nach 13 zu warmen Monaten in Folge zu kalt ab, in Mitteleuropa betrugen die negativen Abweichungen 1-2°C, je nachdem, ob man den Durchschnitt von 61-90 oder 81-10 als Maßstab heranzieht. Charakteristisch für den Mai war ein quasi-stationärer Trog Südeuropa. Die eingeringelte Okklusion steuerte immer wieder von Norden gegen die Alpen und blieb oft tagelang an Ort und Stelle. Die Kälteperioden in der ersten Monatshälfte waren überwiegend advektiv bedingt, d.h., neben den Aufgleitniederschlägen und isothermer Abkühlung kam polare Kaltluft von der Nordsee her in den Alpenraum.
In der letzten Maiwoche war die Kälte hingegen großteils hausgemacht, d.h. tagelang tiefbasige Bewölkung, geringe Tageserwärmung und isotherme Niederschlagskühlung. Kälte, die ausschließlich von Niederschlag produziert wird, verschwindet rasch wieder, sobald der Niederschlag nachlässt und die Sonne hervorkommt. So betrugen die Höchstwerte am verregneten Mittwoch, 29.05., österreichweit nur 10-15°C. Am ersten Tag mit längeren sonnigen Auflockerungen, dem Freitag, 31.05., aber bereits verbreitet 19 bis 24°C. Mit der Ostwärtsverlagerung des Höhentiefs zum Balkan wurde unter stabilem Hochdruckeinfluss deutlich wärmere Luft aus Südwesten herangeführt. Mit den langen Tagen im Juni und maximaler Anzahl der Sonnenstunden kletterten die Höchstwerte rasch, am 01.06. 27°C, am 02.06. 29°C, am 03.06. 30°C.
Das in der nachfolgenden 500 hPa-Karte zu sehende Höhentief mit Zentrum über Bulgarien existiert nun seit Mittwoch 27.5., als es sich über Italien abgeschnürt hat. Zwar hat es sich ein wenig nach Osten bewegt, ist zwischendurch aber dem Osten Österreichs immer wieder näher gekommen. In den aktuellen (Stand 06.06.) Berechnungen wird es an den Folgetagen endgültig in den Trog über Westeuropa integriert und füllt sich dabei auf. Erst dann geht die Großwetterlage mit Trog Süd- bzw. Südosteuropa zu Ende.
Kleinräumige Wirbel in der oberen Troposphäre
Die Wetterlage am Montag, 03. Juni 2019, 15 UTC, zeigt flache Druckverhältnisse im Alpenraum und eine schwache Keilbrücke zwischen einem Keil über den Balearen und einem weiteren über Polen bis Ukraine. Die Schwachstelle liegt genau im Alpenraum, einerseits durch einen flachen Trog über Ostfrankreich, Benelux, Westdeutschland, und durch Ausläufer des Höhentiefs über Bulgarien, die den Osten von Österreich beeinflussen.
In den Höhenwindkarten sieht man die angesprochenen Tröge noch besser.
In 500 hPa der flache Kurzwellentrog im Westen mit der zugehörigen Trogachse bis zur Schweiz. Im Osten das mehrachsige Höhentief mit der Haupttrogachse über dem östlichen Mittelmeer und mindestens drei Trabanten (kleinräumige Trogachsen) über Moldawien, Nordösterreich und dem italienischen Stiefel, sowie über dem Westen von Rumänien.
Grundsätzlich kann man sich merken: Bei flachen Druckverhältnissen in allen Höhen reichen winzige Störungen in der oberen Troposphäre schon aus, um Hebung und nachfolgend Konvektion zu erzeugen. Jede der Trogachsen in Abb.2 markiert eine Region potentieller Schauer und Gewitter.
Schaut man sich noch ein Stockwerk darüber an (500 hPa entspricht durchschnittlich 5,5km Höhe, 300 hPa 9km Höhe), dann bleibt von der Keilbrücke über den Alpen nicht mehr viel übrig. Zum Einen wird der Keil von einer ganz schwachen Trogachse über Deutschland zerschnitten, die bis Nordtirol reicht. Hier bildeten sich verbreitet teils linienförmige Gewitter. Eine weitere Trogachse folgt von Frankreich nach. Zum Anderen ist eine ausgeprägtere Delle im Nordosten von Österreich zu sehen.
Kleinräumige Tröge sieht man in Satellitenbildern am besten im Wasserdampf, und das zeigt ein ungewöhnliches Bild in diesem Fall:
Über der Westslowakei, im Norden von Kroatien und über der Provinz Foggia befinden sich jeweils rundliche, dunkle Knubbel mit sehr trockenen Luftmassen. Jeder dieser Knubbel steht für einen winzigen Trog mit eigenständiger Zirkulation. Sie werden mit der nördlichen Höhenströmung gegen den Uhrzeigersinn um das Höhentief herumgeführt, allesamt westlich der Okklusionsfront, die hier von Griechenland über Bosnien, Ostungarn bis in den Süden der Ukraine reicht. Der Slowakeitrog ist in 300 hPa aufgelöst, der Kroatientrog in 500 hPa angedeutet (nicht eingezeichnet). Der italienische Trog fehlt. Eine 300 hPa Karte würde sich natürlich besser eignen, allerdings würde man die individuellen Tröge nur in hoher Auflösung der Isohypsen sehen, welche in den frei verfügbaren Modellkarten aber nicht erhältlich ist.
Beginn der Entwicklung war etwa um Mitternacht, also rund 17 Stunden vorher:
Im Wasserdampfbild sieht man eine lange dünne schwarze Linie mit sehr trockenen Luftmassen, ein sogenannter Dark Stripe. Deutlich ausgeprägter ist dieser über dem östlichen Mittelmeer bis Türkei und Schwarzes Meer. Hier spricht man von einem Dryslot. Dryslots treten üblicherweise in Zusammenhang mit kräftigen Bodentiefentwicklungen auf, während dark stripe eher bei nicht vollständig abgeschlossenen Zirkulationen zu finden sind. Häufiger findet man sie im Bereich eines Jetstreams, nicht selten gleichzeitig mit verstärkten Turbulenzen im oberen Luftraum.
Der theoretische Hintergrund zu Streamern/Dark Stripes kann im ZAMG-Handbuch für Satellitenmeteorologie (auf Englisch) nachgelesen werden.
Wesentliche Erkenntnisse:
Eher schmale dunkle Streifen liegen auf der zyklonalen Seite von hellen Bändern und Cirrusschirmen, typischerweise auf der zyklonalen Seite vom Jetstream, rückseitig von Kaltfronten und Okklusionen und an der Vorderkante von Warmfronten.
Dark Stripes repräsentieren absinkende trockene Luft, die stratosphärischen Ursprungs sein kann. Sie können daher als Anzeichen für Wolkenauflösung von oben her verstanden werden, und als mögliche instabile Entwicklung an der Grenze zwischen trockener und feuchter Luft.
Dark Stripes werden oft von PV-Anomalien begleitet, d.h. man findet hohe Werte potentieller Vorticity im Bereich des Dark Stripe mit scharfen PV-Gradienten. Weil die Dark Stripes so eng und lang sind, sieht man sie kaum im Modelloutput (abgesehen von simulierten Wasserdampfbildern).
Die entscheidende Erkenntnis ist, dass Gewitterentwicklungen oft entlang solcher schmaler Dark Stripes auftreten. Irgendwas ist also immer vorhanden, selbst wenn man in den numerischen Modellen nichts erkennen kann. Durch solche kleinräumigen Zonen mit potentiellem Hebungsantrieb ist außerdem infrage gestellt, ob die frühere Unterteilung in Luftmassengewitter (Wärmegewitter) und Frontgewitter (an einer Kaltfront) überhaupt einen Sinn ergibt. Bei Wärmegewittern geht man davon aus, dass Gewitter scheinbar zufällig über der Orographie entstehen, doch in Wahrheit gibt es nur sehr wenig Zufälle, was die Entstehungszonen von Gewittern betrifft.
Der Loop zeigt eindrucksvoll, wie an der ursprünglich schmalen Linie zuerst Verwellungen auftreten, die sich dann jeweils zu eigenständigen Zirkulationen entwickeln. In Abbildung 4 ist jeweils an den Westflanken der Knubbel konvektive Bewölkung erkennbar. Die dunklen Streifen bzw. runden Knubbel waren also tatsächlich mit potentieller Vorticity „gefüllt“, sodass es in der Umgebung zur Gewitterbildung kommen konnte.
Fernwirkung von Gewittern und Gewitterlinien: Outflow Boundaries
Im zweiten Teil möchte ich auf weitere wertvolle Indikatoren in der Gewitterprognose eingehen, die vor allem im Kürzestfristbereich (6-12 Std.) hilfreich sind.
Definition Outflow Boundary
Gewitterniederschlag kühlt die Umgebungsluft, erzeugt Abwinde, die den Boden erreichen und sich horizontal ausbreiten (Outflow). Die Vorderkante der ausströmenden Kaltluft ist die Outflow Boundary. Sie können sich über mehrere hundert Kilometer in wenigen Stunden verlagern. Je weiter sie vom erzeugenden Gewitter entfernt sind, desto flacher wird die Kaltluft. Verlagert sich der Gewitterkomplex oder die Gewitterlinie über mehrere Stunden mit, dann kann die Outflow Boundary hingegen sehr mächtig werden (bis 1,5km Höhe). Hochbasige und niederschlagsreiche (insbesondere Hagel-) Gewitter erzeugen kräftigere Outflows. Voraussetzung ist also auch relativ trockene Umgebungsluft. Outflow Boundaries unterliegen in der Regel einem Tagesgang, sie treten bevorzugt zu später Tageszeit und dann auf, wenn die Gewitter im Endstadium zunehmend abwinddominant werden (d.h. die stärkste Reflektivität verlagert sich in die untersten Schichten, Abwinde verstärken sich). Neubildungen an der Outflow Boundary sind dann bevorzugt, wenn die Sperrschicht (Deckel) nicht zu stark ist, feuchtlabile Luft vorhanden ist und ein übergeordneter Hebungsantrieb (z.b. oben erläuterte dark stripes) gegeben ist. Herrscht großräumig Absinken, dann verpufft die Outflow Boundary – der Wind lebt auf, es kommt kühlere Luft (in der Nacht wird es u.U. sogar wärmer, weil die bodennahe Kaltluftinversion ausgeräumt wird) und das wars.
Am besagten Junitag sieht man eine Outflow Boundary (zwei detektierte auf gleicher Höhe) über Ostbayern. Der südliche Teil läuft ca. 70km vor dem Echo bei Ingolstadt, der nördliche 110km vor den Radarechos östlich von Nürnberg. Voraussetzung für die Sichtbarkeit im Radar sind Insektenansammlungen, die vom Wind mitgerissen und an einem Ort konzentriert werden.
Die vorlaufende Outflow Boundary, verbunden mit auffrischendem Westwind (im Schnitt 25-30kt) sah man auch im sichtbaren Kanal des Satellitenbilds, erkennbar an tiefer Bewölkung.
Im infraroten Kanal sieht man die Linie sogar noch besser und durchgehend vom Alpenrand bis Oberfranken, eine schwächere Linie ist in Brandenburg östlich von Berlin erkennbar.
Knapp 3 Stunden später haben sich beide Linien vereinigt, die Vorderkante reicht vom Innviertel über den Westen Tschechiens bis Ostsachsen und Brandenburg. Über dem oberösterreichen Zentralraum werden sich wenig später plötzlich kleinräumige Regenschauer entwickeln, genau in Verlängerung zur hier sichtbaren Linie.
Im infraroten Bild vom 20.45 MESZ sieht man nicht nur die unterbrochene Linie über Bayern und Sachsen, sondern auch eine schmale Linie, die den Alpenhauptkamm überspringt. Sie sorgte kurz darauf über Südtirol für kräftige Gewitterbildungen.
In Abbildung 12 sieht man links, rechts und hinter dem Schneeberg jeweils die Reste ehemaliger Gewittertürme (Ambosswolken in Auflösung). Sie betreffen den südlichen roten Kreis etwa in Höhe Wölzer und Seckauer Tauern in 175km Entfernung.
Zur gleichen Zeit sah man entfernt im Westen mächtige Quellwolken, aus denen sich später noch einmal Regenschauer entwickelten. Diese findet man im nördlichen roten Kreis, in rund 220km Entfernung!